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Interview mit Boris Kralj

Editorial Team

My Belgrade: Auf der Suche nach Jugoslawien und dem ehemaligen Ich. Belgrad oder: Die weisse Stadt, wie sie übersetzt heißt, hatte nie eine Glanzzeit, kam nie in den Verdacht ein Paris des Ostens zu sein, und wurde selten genannt…

 

…wenn es darum ging, die schönsten Städte Europas aufzuzählen. Belgrad wurde unzählige Male zerstört und vom Rest der Welt immer wieder vergessen.

 

KEVIN BRADDOCK / ESQUIRE Interview mit Boris Kralj

Wie hast du mit dem Projekt begonnen?
Ich war einfach von Belgrad ergriffen und verbrachte 8 Jahre daran immer wieder hinzufahren und es zu fotografieren. Meine Eltern waren Gastarbeiter in Deutschland, ich selber bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich war 13 oder 14 Jahre alt, als ich zum ersten Mal nach Belgrad kam, dann folgten ja die Kriege und ich war 25, als ich es wieder besuchte.

Ein sehr starkes Gefühl und die Verbundenheit zu diesem Ort, kamen in mir auf, Erinnerungen an meine Kindheit und meine Erziehung. Ich fing an Bilder zu machen da ich immer wieder mit meiner Vergangenheit konfrontiert wurde. Es ist mehr ein Empfinden an meine Kindheit und meine „andere Seite“, wenn ich an Belgrad denke, als an eine Großstadt. Belgrad ist zwar Serbiens Hauptstadt, aber ebenso ein Synonym für das alte Jugoslawien.

Wie haben sich deine Gefühle im Laufe der Zeit gegenüber Belgrad verändert – von deiner Kindheit an, und als du als Erwachsener wieder hingefahren bist?
Als ich ein Kind war und nach Jugoslawien kam, hatte ich das Gefühl, dass alle Menschen warmherzig sind. Alle weinten als wir kamen und wenn wir gingen. Wir fuhren einmal im Jahr nach Jugoslawien. Es ist nicht wie heutzutage, wenn du einfach in ein Flugzeug steigen kannst und in 1 1/2 Stunden dort bist. Es war immer eine lange Fahrt, durch Deutschland, Österreich, Slowenien, nach Kroatien oder nach Serbien.

 

Ich sah meine Verwandten immer nur einmal im Jahr. Diese freuten sich stets uns zu sehen und es war jedes Mal ein liebevolles Zusammentreffen. Nach dem Krieg dort, hatte ich das Gefühl dass sich vieles innerhalb der Menschen verändert hatte. Sie waren teilweise verbittert und es lag eine große Hoffnungslosigkeit in der Luft. Meine Verwandten leben im ganzen ehemaligen Jugoslawien verstreut, und alle wurden sie durch den Krieg auf eine gewisse Art und Weise getrennt. Als ich erneut nach Belgrad reiste, kamen die alten Erinnerungen wieder zurück.

Ich ging durch die Stadt und wurde jedes Mal an das Land meiner Kindheit erinnert. Ich dachte mir, dieser Ort ist unglaublich, es trägt tatsächlich diesen alten jugoslawischen Geist an verschiedenen Ecken und in den Menschen in sich. Es war wirklich überwältigend, wie ein Flashback! Ich war irritiert und begeistert zugleich!

 

 

 

Von Paris haben die meisten Menschen eine Vorstellung, auch wenn sie noch nicht da waren. Von Belgrad können sich die wenigsten ein Bild machen, und wenn, ist das meistens ein negatives. Hast du den Anspruch die Stadt in einem anderen Licht darstellen zu lassen?
Belgrad wird meistens politisch betrachtet. Viele schreckliche Dinge sind in dieser Stadt und der Region passiert und so verwundert es nicht, dass der Westen ein meist negatives Bild darüber hat. Vor acht Jahren haben meine Freunde, die zuvor noch nie in Belgrad gewesen sind, gesagt: „Wow, bist du sicher dass du da hinwillst? Pass auf dich auf!“ oder: „Ist da noch Krieg?“. Es war wirklich verrückt.

Damals ist man nach Belgrad nicht einfach nur zum Spaß gefahren, wie z.B. nach Budapest oder nach Prag. Jetzt wird Belgrad immer beliebter, doch die Menschen assoziieren diese Stadt weiterhin mit Kriegsverbrechern oder etwas Negativem -auch wenn das nicht der Realität entspricht. Ich hoffe, dass die Menschen, die meine Bilder sehen, auch meine andere Seite in mir kennenlernen. Es ist mir wichtig, daß z.B. auch meine deutschen Freunde oder die die mich gut kennen wissen, dass meine Wurzeln im/aus dem ehemaligen Jugoslawien bin.

 

Viele von ihnen wissen, dass ich manchmal diese „komische“ Musik höre und dass ich Serbisch spreche, aber es fällt mir dennoch schwer Ihnen auch die andere Seite von mir näherzubringen. Wenn ich in Belgrad bin, ist es als ob ich ein zweites Leben dort führe, es ist, als wäre ich eine komplett andere Person.

 

Du sprachst davon, dass du in Belgrad auf den Spuren des alten Jugoslawiens bist. Was bedeutet das genau und wie hast du sie gefunden?
Wenn man mit offenen Augen durch Belgrad geht, kann man viele Spuren entdecken. Selbst die Belgrader laufen an ihnen vorbei ohne sie wahrzunehmen. Egal, ob es sich um Bücher auf dem Flohmarkt, mit einem Dubrovnik oder Tito auf dem Umschlag handelt, oder alte Logos und Schriftzüge mit dem Wort Jugo auf den Häusern: Jugotours, Jugoelektro, Jugospedition, Jugopetrol…sogar das Jugoslawische Drama-Theater.

 

Man hat es sogar nach dem Zerfall Jugoslawiens so benannt, obgleich viele der Menschen sich nicht einmal mehr als Jugoslawen sahen. Diese Spuren verschwinden allmählich. Eines Tages kam ich an einem Eingang eines alten Kinos namens Balkan vorbei, dessen Namen auf kyrllisch stand. Es sah so alt aus und obwohl es nur eine Tür war, kamen mir so viele Geschichten in den Kopf. Ich fragte mich, wieviele Menschen hier wohl durchgingen und was sie sich wohl für Filme angeschaut haben. Jetzt ist es geschlossen und wahrscheinlich wird man eines der modernen Cinemaplexxe dort bauen. All diese Zeugnisse verschwinden und alles wird urban und modern.

 

Die Ikonografien des Konsums sind ein interessanter Aspekt wenn man die Geschichte und ihren Wandel betrachten möchte…
Es gibt ein Bild mit dem Logo eines Mineralwassers namens Radenska auf einem Wohnhausblock. Radenska kommt ursprünglich aus Slowenien und das Foto wurde im Winter geschossen. Ich sah hinauf und entdeckte das Logo mit den drei roten Herzen und sofort kamen in mir viele Erinnerungen aus meiner Kindheit auf.

 

Ich sehe mich mit meiner Cousine im Hof meiner Großeltern spielen, auch meine Verwandten, Sommer, Kroatiens Küste…es ist immer sonnig -das sind schöne Momente. Viele Menschen haben das Mineralwasser damals getrunken. Die Werbung im Fernsehen zeigte Menschen in ihrer Tracht aus den verschiedenen Republiken des Landes, es ist ein rührendes Symbol für mich und wahrscheinlich auch für andere. Heute kann man Radenska in Serbien nirgends mehr kaufen – in Slowenien schon, aber wie gesagt nicht in Serbien.

Das Logo thront noch immer auf dem Häuserblock, und der Grund, warum man es nicht entfernt, ist wahrscheinlich einfach das Geld. Es ist seit 20 oder 30 Jahren vermutlich auf dem Haus und jeder wird daran erinnert.

 

 

Es handelt sich um eine Art verlorenes „Abbild“ von Jugoslawien und die Fotografien scheinen eine Silhouette zu formen. Versuchst du hier Geschichte auf eine Art wieder zusammenzusetzen?
Die Bilder zeugen von den letzten Spuren eines nicht mehr existierenden Landes und können als eine Art Reminiszenz an dieses Land gesehen werden. Die Spuren verschwinden. Wann immer ich wieder nach Belgrad komme, ist etwas davon nicht mehr da. Viele der Motive in diesem Bildband gibt es so nicht mehr und ich bezweifele, dass jemand das eine oder andere Motiv so genau wie ich betrachtet hat. Die Menschen gehen daran vorbei und haben die grauen Wohnhäuser, altmodische Logos und die Tristesse einfach satt, doch ich sehe auch sehr viel Schönheit darin.

 

Meine Bilder mögen nostalgisch und melancholisch wirken -aber es ist nicht so, dass ich mir die alten Zeiten unbedingt zurückwünsche. Es geht ebenso wenig darum zu zeigen, wie hübsch und schön es damals war. Die Bilder sind eher grau, nichts in ihnen ist schick und es sieht auch nicht aus, als hätte diese Stadt einmal eine Glanzzeit gehabt. Im Gegenteil, vieles scheint verwahrlost, und ich möchte vielmehr, dass die Menschen sich zurückbesinnen, über diese Zeit reden und diese nicht vergessen. Es ist nicht so, dass ich den alten Zeiten nachtrauere, vielmehr möchte ich stattdessen eher einen Austausch von Gedanken über die Geschichte Jugoslawiens auslösen.

Du hast eine bildliche Erzählweise entworfen, in der du die Gegenwart mit der Vergangenheit verbunden hast. Wie spiegelst du dich als Schöpfer dieser Geschichte wider?
Wenn mich jemand fragen würde, wie es in mir aussieht, wäre das genau die Antwort darauf. Die Stimmung ist nicht traurig,aber auch ebensowenig glücklich. Wenn ich durch Belgrad gehe, erweckt alles, was ich lese und alles, was ich dort sehe ein Gefühl in mir.

Ich möchte mit meinem Portrait über Belgrad eine Neugier auf ein Land wecken, welches nicht mehr existiert, und Menschen auf diese Weise zusammenbringen. Auch möchte ich den gegenseitigen Respekt zwischen den Kulturen verbessern, egal woher die Menschen stammen. Und wenn jemand sagt, dass die Zeit damals in Jugoslawien alles andere als gut war, dann ist das auch o.k. – aber lasst uns darüber reden.

 

„MY BELGRADE“ Book Release