Belgrad oder: Die weisse Stadt, wie sie übersetzt heißt, hatte nie eine Glanzzeit, kam nie in den Verdacht ein Paris des Ostens zu sein, und wurde selten genannt, wenn es darum ging, die schönsten Städte Europas aufzuzählen. Belgrad wurde unzählige Male zerstört und vom Rest der Welt immer wieder vergessen.
Es wurde in den letzten Jahrzehnten das Synonym für einen Ort der Abneigung und Gewalt und das, obwohl die Unbekannte auf dem Balkan auf den zweiten Blick ein mystischer, urbaner Moloch und das letzte Zeugnis eines Landes ist, welches nicht mehr existiert – Jugoslawien. In dieser Stadt auf dem Balkan trennten und begegneten sich einst Orient und Okzident, und noch heute spiegeln sich die Spuren der unterschiedlichen Kulturen in einem vibrierenden Dialog im Stadtbild wider.
Früher war Belgrad das Zentrum eines Landes, in dem sich eine bunte, ethnische Vielfalt von Menschen als Zeugen ihrer wechselhaften Geschichte verstanden. Heute ist es die Hauptstadt Serbiens, welche auf Hochtouren daran arbeitet, den Anschluss an eine westliche Welt zu finden. Dadurch verblassen allmählich auch die letzten Spuren der einstigen Republik Jugoslawien und mit ihnen die Wehmut und der Zauber, die diesem Ort seinerzeit seinen einzigartigen Charakter gaben.
Der Geist dieser Stadt wurde auf Boris Kralj’s langjährigen Reisen nach Belgrad fotografisch eingefangen und zeigt sich in den Gesichtern seiner Einwohner, manifestiert sich in den maroden Fassaden der Häuser und wird durch die kyrillischen Schriftzüge auf den bröckelnden Oberflächen ihrer Häuser kommentiert: Zeithistorische Dokumente eines magischen Ortes.
Über mein Belgrad vermag ich nichts zu sagen. Belgrad und ich führen eine merkwürdige Nichtbeziehung. Dreimal habe ich versucht, Belgrad zu besuchen, dreimal war ich voller Aufregung, ja fast schon manisch gespannt – und dreimal bin ich gescheitert. Der letzte Versuch ist noch nicht lange her.
Als ich am Berliner Flughafen ankam, gebucht für den Flug nach Belgrad, kam ich mir vor wie im Film, als ich merkte, dass mein guter Freund Boris Kralj mir nicht die Abflugzeit in Berlin, sondern die Ankunftszeit in Belgrad mitgeteilt hatte. Diese Stadt bleibt mir ein Rätsel.
In den Fotografien von Boris Kralj wird deutlich, was Belgrad, dieses Stadtgebilde aus unzähligen Schichten verschiedener Epochen und Ideologien, so faszinierend, so morbid reizvoll, so dicht und intensiv macht. Zwanzig Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Jugoslawien dokumentieren sie den Entschluss eines Mannes, die verbliebenen Fragmente der jugoslawischen Idee in der Hauptstadt Serbiens zu protokollieren. Dieses nostalgisch wirkende Projekt ist geprägt von einer Ernsthaftigkeit und Naivität, die nur von einem kommen kann, der selbst nie dort gelebt hat.
Boris Kraljs Eltern stammen aus Jugoslawien, er ist aber in Deutschland aufgewachsen. Einmal in der Woche ging er in die jugoslawische Schule, an den Wochenenden besuchte er mit seinen Eltern den jugoslawischen Verein, gefolgt vom Restaurantbesuch beim Jugoslawen der Stadt – und auch die Sommerurlaube verbrachte man bei Verwandten in Jugoslawien. Das Gift des Nationalismus und die Schrecken des Krieges in den 1990er-Jahren aber veränderten alles: Sein Vater und seine Freunde wurden plötzlich zu Kroaten, seine Verwandten zu Slowenen, seine Bekannten zu Bosniern und Belgrad zur international geächteten Außenseiterin.
Die scheinbare Nostalgie dieses Projekts aber ist alles andere als reaktionär. Sie setzt sich in Beziehung zu einer progressiv geprägten Vorstellung vom Multikulturalismus Jugoslawiens, widersteht dabei aber jeglicher Idealisierung der Vergangenheit. Ein Bemühen um Dokumentation, das sich den großen Worten beugt – und ein Ansatz, der dieser Region mit ihren zahllosen Spuren vergangener Propaganda wahrhaft gerecht wird.