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Interview mit Anne Fontaine

Editorial Team

Wir warten gespannt auf den neusten Film der Regisseurin Anne Fontaine. Sie und ihr Team haben es geschafft, einen wunderbaren und tollen Film über die Designerin und Gründerin einer neuen Mode-Ära zu drehen. Coco Chanel war dafür bekannt, dass sie das kleine Schwarze salonfähig wurde. In einer Zeit, wo die Damenwelt der Gesellschaft Korsetts, bodenlange Kleider und Reifröcke trugen, erfand sie ihren eigenen Stil. Schlichte, elegante Kleidung für zweckmäßigen Komfort.

Hier erfahrt Ihr mehr über den Film und die Entstehung des Films – Coco Chanel „Der Beginn einer Leidenschaft“

 

F: Wie entstand Ihr Interesse an Gabrielle Chanel?

A: Als ich noch sehr jung war, hatte ich das große Glück, Lilou Marquand zu begegnen. Sie war die engste Mitarbeiterin von Chanel während des ganzen letzten Abschnitts ihres Lebens und schrieb später ein Buch über ihre Beziehung, „Chanel m’a dit“. Eine Zeit lang

erfuhr ich also beinahe täglich Einzelheiten über diese mythische Persönlichkeit. Außerdem las ich mit großem Interesse das Buch „L’allure de Chanel“ von Paul Morand, einem der Autoren, die es am besten verstanden haben, die sagenhafte Persönlichkeit von Mademoiselle zu beschreiben. Was mich interessierte, war weniger ihre Mode als die Charaktereigenschaften dieser außergewöhnlichen Frau.

Mich berührte die Tatsache, dass sie Autodidaktin war, ganz besonders. Da war dieses Mädchen, das aus der tiefsten französischen Provinz stammte, das arm war und ungebildet, aber mit einer so einzigartigen Persönlichkeit gesegnet und ihrer Zeit und der Gesellschaft weit voraus, in der Frauen die Gefangenen von Benimmregeln und Kleidung waren, die sie von sich selbst entfremdeten. Ihren Lebensweg, der etwas Romanhaftes hat, fand ich sehr spannend.

Ich weiß noch, wie ich Fotos der jungen Chanel an die Wand meines Zimmers pinnte, obwohl ich damals nie gedacht hätte, dass ich mal einen Film über dieses Thema machen würde. Viele Jahre später, während einer Unterhaltung über Chanel mit Caroline Scotta und Caroline Benjo, den Produzentinnen von „Haut et Court“, wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, ein Projekt zu entwickeln, das ihren Lebensweg nachzeichnet.

Daraufhin flammte mein Interesse an Chanel wieder auf. Ich bat um etwas Bedenkzeit, sagte aber gleich, dass es meiner Meinung nach ein Fehler wäre, Coco Chanels Leben vollständig zu erzählen.

Ich musste mir darüber klar werden, ob es möglich war, sich auf den ersten Abschnitt ihres Lebens zu beschränken, ihre Lehrjahre und das, was alles geschah, bevor Chanel selbst überhaupt begriff, welches glanzvolle Schicksal ihr beschieden war. Deshalb las ich noch einmal die Biografie von Edmonde Charles-Roux, „Coco Chanel – Ein Leben“.

Die andere zwingende Notwendigkeit bestand darin, eine Schauspielerin zu finden, die diese Figur wirklich verkörpern konnte – und nicht bloß eine blasse Kopie von Chanel abgibt oder sie nachäfft.

 

F: Audrey Tautou wirkt wie die Idealbesetzung für die Rolle der Coco Chanel.

A: Ja, weil Audrey diese Androgynität besitzt, die es zu Chanels Zeiten nicht gab, die man aber unbedingt zeigen muss, damit man begreift, wie Coco Chanel ihren Stil erfand. Chanel hat sich hauptsächlich von sich selbst inspirieren lassen, sie entwickelte ihren Stil für ihren Körper, ihr Anderssein, ihre Vitalität. Heute ist es schick, androgyn zu sein, damals hatten die Frauen jedoch Kurven und waren füllig. Chanel war es auch, die kurze Haarschnitte zum Trend machte.

Meine Idealbesetzung musste also eine grazile Silhouette mit einem starken Naturell verbinden, musste wie eine Faust im Samthandschuh wirken. Audrey hat die schmalste Taille der Welt! Andererseits hat sie auch etwas von einem „kleinen schwarzen Stier“, wie Paul Morand Chanel zu beschreiben pflegte; außerdem ist sie anmutig, besitzt Finesse und hat unbestreitbar Charisma. Bei meinem ersten Treffen mit Audrey war ich gleich von ihrer Willenskraft fasziniert, von ihrem Mut und ihrem Blick, der einen regelrecht durchbohrt. Auch Chanels Blick entging nichts.

Sie hatte sich durch Beobachten gebildet, nicht nur durch schulisches Lernen. Ich hatte noch keine Zeile des Drehbuchs geschrieben, als ich Audrey traf, aber ich wusste sofort, wenn sie mir vertrauen würde und die Produzenten damit einverstanden waren, sich auf Chanels Lehrjahre zu konzentrieren, würde dem Abenteuer meines ersten Kostümfilms nichts mehr im Wege stehen.

 

F: Sie haben sich gegen ein biografisches Erzählen entschieden und konzentrieren sich darauf, Chanels Kreativität und die Anfänge ihrer wahnwitzigen Karriere zu ergründen.

A: Weil diese Jahre geradezu romanhafte Aspekte enthalten, angefangen mit der Kindheit und Jugend einer Frau aus der Provinz, die in großer Armut lebte.

 

F: Chanels Kindheit eignet sich tatsächlich als Thema für einen epischen Roman.

A: Ja, Chanel kann es mit den großen Heldinnen der Literatur aufnehmen. Das Schlimmste passiert ihr gleich zu Anfang. Die kleine Gabrielle verliert ihre Mutter, die Schwangerschaften und Krankheiten ausgezehrt haben. Dann lässt ihr Vater, ein Hausierer, sie im Stich.

Sie kommt in das Waisenhaus des Klosters Aubazine, wo ihr die Stiftsdamen das Nähen beibringen. Schließlich erleben wir, wie sie ihr Glück als Sängerin im Varieté von Moulins versucht, wo sie vor Offizieren auf Freigang ihr berühmtes, Qui qu’a vu Coco‘ zum Besten gibt.

 

F: Wenn man ein Drehbuch über einen berühmten Menschen schreibt, muss einem klar sein, dass der Zuschauer weiß, wie die Geschichte ausgeht. Ihnen ist es trotzdem gelungen, sie spannend zu gestalten.

A: Weil diese Spannung ein Teil des Lebens unserer Heldin war. Wie wird sie es anstellen, um Erfolg zu haben? Wie wird sie das Handicap ihrer Ungebildetheit überwinden  Chanel, deren Name heute quasi ein Synonym für Haute Couture ist, war zunächst interessanterweise überhaupt nicht an Mode interessiert.

Sie wollte Tänzerin werden, Sängerin oder Schauspielerin. Nachdem sie ihre Träume von einem Künstlerleben begraben hatte, ergab sich ihre glänzende Karriere, ohne dass sie sich großartig anstrengen musste. Ich fand es besonders spannend zu zeigen, wie Coco sich ihr eigenes Schicksal erschafft, wie sie den Lauf der Dinge beeinflusst. Bei ihr war nichts vorgefertigt.

Sie verfolgt keinen bestimmten Karriereplan, um erfolgreich zu sein – sie erfindet alles neu. Sie besitzt weder die Ambitionen noch das nötige Werkzeug, um sich der Bourgeoisie anzupassen – diese Welt bleibt ihr im Grunde sogar verschlossen –, deshalb macht sie auf sich aufmerksam, macht sich begehrt, was natürlich ein Höchstmaß an Provokation ist.

Sie will sich nicht den Regeln dieser Welt beugen, sondern die Welt ihrer Persönlichkeit anpassen. Sie mag das Risiko. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie zu Beginn ihrer Reise in die Welt wie eine Illegale ist. Wenn sie in Royallieu eintrifft, verbietet ihr Balsan, das Schlafzimmer zu verlassen. Sie formte ihr emblematisches Image, indem sie ihre Ursprünge im Dunkeln ließ. Die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend wurde von ihr immer wieder beschönigt.


F: Zunächst wurde Coco Chanel ausgehalten, war das, was man als eine Mätresse bezeichnete …

A: Ja, das steht ein bisschen im Widerspruch zu dem Bild, das wir heute von Coco Chanel haben, dieser eleganten Frau, die stets nüchterne, schicke Kostüme trug und ihr Luxus-Imperium auf ihrer Unabhängigkeit aufbaute, eine Frau, die im Übrigen nie geheiratet hat. Tatsächlich erschuf sich die junge Coco, indem sie sich von Männern aushalten ließ, die sie geschickt für ihre Zwecke zu benutzen wusste.

Sie war tatsächlich eine Kurtisane. Während der Jahre auf Schloss Royallieu betörte Chanel Frauen und Männer gleichermaßen mit ihrem Charme, arbeitete an ihrer Persönlichkeit und härtete ihr Naturell.

Die Halbweltdamen, die ihr auf Royallieu begegneten, trugen Spitzenkleider. Um nicht als eine von ihnen zu gelten, entwarf sie für sich Kleider, die so schlicht waren, dass sie die Schicklichkeit geradezu überbetonten. Von nun an wird sie sich stets wie eine vernünftige junge Frau kleiden und dazu diese einfachen Strohhüte tragen, die sie selbst herstellte und um die sich ihre Freundinnen rissen.

Sie bäumte sich auf, wenn sie Dinge entwarf. „Wenn mir etwas nicht gefiel, sorgte ich dafür, dass es außer Mode kam“, sagte Chanel einmal

 

F: Mit ihren Entwürfen propagierte Chanel nie das Image der idealen Frau, wie es die meisten Modeschöpfer tun. Sie schuf ihren legendären Stil, indem sie ihre Besonderheiten, ihr Anderssein, betonte …

A: Sie war anders. Aber Chanel machte daraus einen Trumpf von unschätzbarem Wert, auch wenn sie anfänglich bestimmt darunter litt. Wie sie sich verändert, das haben Audrey und ich gemeinsam entwickelt.

Zu Beginn sehen wir das kleine, ungehobelte Bauernmädchen mit seiner Bienenkorb-Frisur, dann erlebt man, wie sehr ihr Stil mit dem der anderen Frauen kontrastiert, bis er schließlich, im letzten Teil des Films, zur Inkarnation französischer Eleganz wird.

Ich fand es spannend, diese Evolution ohne großartige Erklärungen zu zeigen. Nach und nach wurde sie zur personifizierten Eleganz, und was die Menschen schließlich sahen, war Chanel.

 

F: Ihr Film erzählt auch eine schöne, eine tragische Liebesgeschichte.

A: Wir zeigen, wie sie zwei Männern begegnet, die ihr Leben grundlegend beeinflussen werden: Balsan, dem reichen, exzentrischen Gentleman-Farmer, den Benoît Poelvoorde spielt, und diesem jungen Engländer namens Arthur Capel, der ,Boy‘ genannt wurde, die Liebe ihres Lebens, gespielt von Alessandro Nivola. Dieser Mann glaubt an sie, und das ist von größter

Bedeutung, aber er stirbt auf tragische Weise. ,Als ich Capel verlor, verlor ich alles‘, sagte Chanel. Daraufhin stürzte sie sich in die Arbeit. Was ich überraschend und sehr interessant fand, war, dass alles, was Chanel erfand, seinen Ursprung in diesen Jahren hatte. Später passt sie ihre Entwürfe dem Zeitenwandel an, und sie entwickelt daraus ihren Stil, wird sozusagen Profi.

Deshalb ist diese Periode ihres Lebens, die wir beschreiben, deutlich lebendiger und bewegender als alle anderen. Sie ist ein Mensch, der gleichzeitig extrem unbeirrt und dennoch sehr verletztlich ist. Chanels unglaubliche Vitalität fußt auf ihrem Leiden.

 

F: Als ,Frau, die keine Tränen mehr hat‘ wurde sie beschrieben.

A: Genau, und Chanel überwindet ihren Schmerz durch Arbeit. Ich finde es großartig, wie sie ihr Unglück bewältigt und wie sie ihr Leid in Kreativität umwandelt. Das machte es für mich so interessant, die ersten Phasen ihres Lebens zu beleuchten.

Denn als sie berühmt wurde, blieb es natürlich nicht aus, dass sie an Routine gewann, schwierig wurde und sich selbst isolierte.

 

F: Diese Frau besaß einen schneidenden Humor.

A: Chanel ist sehr ironisch. Im Film sagt sie zu ihrer Schwester: ,Das einzig Interessante an der Liebe ist Sex. Zu dumm, dass man Männer dafür braucht.‘ Sie hatte ein Gespür für Aphorismen. Chanel nahm die Menschen mit ihren bissigen Antworten für sich ein.

Bei ihrer ersten Begegnung sagt sie zu Balsan: ,Wenn ich mich langweile, fühle ich mich sehr alt‘, worauf er sie fragt: ,Wie alt sind Sie denn gerade?‘ Und sie antwortet: ,1000 Jahre!‘

 

F: Balsan wirkt zunächst ziemlich rüpelhaft, gewinnt Chanel aber mit der Zeit lieb …

A: Die Figur von Balsan zu entwickeln, über den man wenig weiß, hat mir viel Spaß

gemacht. Auch er glaubt, auf seine Art, nicht an die Liebe. Er liebt seine Pferde. Er liebt Feste, bei denen es anzüglich hergeht. Er ist ohne Zweifel ein Lebemann, aber natürlich hat er auch seine menschlichen, gefühlvollen Seiten.

Als ich an die Besetzung der Rolle dachte, fiel mir sofort Benoît Poelvoorde ein. Für mich war er der einzige, der gleichzeitig Provokateur und Menschenfreund spielen konnte. Durch das Beobachten des Völkchens, das um Balsan herumschwirrt, entwickelt Chanel ihren unverwechselbaren Stil; zum Beispiel lässt sie sich von den leichten, funktionellen Stoffen der Sportkleidung inspirieren, sie wandelt Reitkleidung ab und leiht sich Balsans Schlafanzüge aus. Nachdem sie Balsans Garderobe geplündert hat, improvisiert sie erstmals ihre jungenhaften Outfits.

 

F: Als sie Boy Capel trifft, ist sie zum ersten Mal bereit zu lieben …

A: Sie verliebt sich sogar auf ganz naive Weise in Boy Capel, und das, obwohl sie nicht an die Liebe glaubt. Sie wollte nicht in die gleiche Falle tappen, die ihrer Mutter zum Verhängnis wurde. Sie hatte mitansehen müssen, wie sie litt, als sie mehrfach von Cocos Vater verlassen wurde, einem Hausierer, der von Markt zu Markt und von Frau zu Frau zog.

Was ein Frauenleben ausmacht, wurde ihr bewusst, als sie ihre Mutter leiden und unter entsetzlichen Schmerzen sterben sah. Deshalb hat sie sich vermutlich früh geschworen, dass ihr so etwas nie passieren wird! Vielleicht hat sie deshalb auch früher als andere erkannt, dass sich das Leben der modernen Frau grundlegend würde ändern müssen.

Chanel schwamm stets gegen den Strom und beschloss, die Freiheit und Unabhängigkeit der Frauen zu feiern. Dass sie den Mann ihres Lebens verliert, ist dennoch ein schlimmer Schicksalsschlag.


F: Welche Freiheiten haben Sie sich beim Schreiben des Drehbuchs erlaubt?

A: Man muss sich von den biografischen Zwängen lösen, wenn man eine berühmte Person auf frische Weise zeigen will. Meine Co-Autoren und ich mussten natürlich einiges erfinden, die Chronologie verändern, Figuren abändern oder verdichten.

Die von Marie Gillain gespielte Rolle ist beispielsweise eine Mischung aus der echten Schwester von Chanel und ihrer Tante Adrienne, die gleichaltrig war und ähnliche Ambitionen hatte, es im Leben zu etwas zu bringen. Die Figur der Emilienne, die von Emmanuelle Devos gespielt wird, wurde von der berühmten Schauspielerin Gabrielle Dorziat und der Tänzerin und Kurtisane Emilienne d’Alençon inspiriert.

Boy Capel, der eine große Rolle in Chanels Leben spielte und den Alessandro Nivola so großartig spielt, ist erst später gestorben. Tatsächlich weiß man nur sehr wenig über ihre ersten Lebensjahre, und Chanel log die ganze Zeit. Sie sagte etwas, das mir unglaublich gut gefällt: ,Ich habe mein Leben erfunden, weil ich mein Leben nicht mochte.‘

 

F: Mit Ihrer Art der Inszenierung respektieren und feiern Sie Coco Chanels Motto von der „Kunst des Weglassens“. Wie Chanel verzichten auch Sie in Ihren Bildern auf alles Überflüssige, Plüschige und Pathetische …

A: Ich wollte unbedingt, dass der Film ihr ähnelt und auf ästhetische Kinkerlitzchen verzichtet. Der Stil des Hauses CHANEL ist eindeutig an seiner Strenge und der schlichten Eleganz seiner Linie zu erkennen. In den Szenen auf der Pferderennbahn oder am Strand in

Deauville fällt auf, wie gegensätzlich der Stil von CHANEL und die Kleider und überladenen Hüte ihrer Zeitgenossinnen sind, mit den Rüschen und Korsetts, die sie in zwei Teile schnüren. Diese Frauen wirkten im Grunde kostümiert, Chanel hingegen wollte das Individuum betonen. Mit dem Film mussten wir ständig ihrer Sicht der Dinge entsprechen.

 

F: Sie sagen, dass das Besondere an Chanels Modeentwürfen – die Nüchternheit und der Minimalismus – von der Architektur des Klosters Aubazine, der Nonnenkleidung sowie den weißen Blusen und schwarzen Röcken der Internatsschülerinnen beeinflusst wurde.

A: Ja. Es war sehr wichtig, das kleine Mädchen in dieser Umgebung zu zeigen. Die Nüchternheit zu betonen, diese dominierenden Farben Schwarz und Weiß, die zur Quintessenz des CHANEL-Stils wurden.

Im Verlauf des Films sehen wir, wie sie eines ihrer Kleider in Moulins mit dem weißen Kragen und den weißen Manschetten eines Männerhemds aufwertet, außerdem entwirft sie Emiliennes Verkleidung für den Maskenball, nämlich das Waisenkind- Kostüm. Schon damals nahm das berühmte „kleine Schwarze“, das zu ihrem Markenzeichen wurde, Gestalt an.

 

F: So wie Sie Chanels Liebesleben schildern, muss man sich fragen, ob sie ihren größten Triumph – das kleine Schwarze – nicht für sich selbst entworfen hat, für diese Frau, die von Einsamkeit gezeichnet war?

A: Sämtliche Szenen, die mit ihrer Mode zu tun haben, habe ich so gedreht, dass immer deutlich wird, wie Chanels Kreativität von ihren Erlebnissen und Erfahrungen geprägt wurde. Ganz besonders natürlich dieses furchtbare Ereignis, als Capel bei einem Unfall stirbt. Darin,

wie sie diese Tragödie in eine Obsession mit ihrer Kultfarbe Schwarz verwandelt, liegt eine unbestreitbare Schönheit. Dadurch erhalten die von ihr entworfenen Kleider eine poetische Dimension, die Kleidung normalerweise nicht besitzt. Ein Kleidungsstück wird erst durch die Art und Weise, wie es getragen wird, lebendig. Bewegung – das ist es, womit Chanel die weibliche Mode bereichert hat. Was sie den Frauen damit schenkte, war eine Art von Freiheit.

 

F: In der letzten Sequenz des Films wird im Rahmen einer Modenschau eine Sammlung jener Kleider gezeigt, die im Laufe der Jahre Chanels Ruhm begründeten. Während sie auf ihrer berühmten Treppe sitzt und ihren Triumph genießt, lässt sie Momente ihrer Vergangenheit Revue passieren…

A: Zu Beginn des Films ist sie noch im Werden begriffen, am Ende ist die Metamorphose abgeschlossen. Da ist sie zu Coco Chanel geworden – und ihre Geschichte untrennbar mit ihrem Jahrhundert verbunden. Diese Sequenz hat etwas von einem Tagtraum.

Wir sehen Coco bei der Arbeit, dann blenden wir zu einer Modenschau über, die nicht ganz realistisch ist, denn hier vermischen wir Kleider aus verschiedenen Schaffensperioden. Als könnten wir in die Zukunft blicken, hat sie schon den Rang eines Mythos erlangt.

Ich habe versucht, das Ende auf allegorische Weise zu gestalten, um diesen Zustand der Gnade zu vermitteln. Chanel hat auf ganzer Linie gesiegt, trotzdem spürt man die Melancholie, die sie umgibt. Die Zeit nach der Beziehung zu Boy habe ich so geschildert, dass klar wird, dass die einzige Alternative für sie darin bestand, zu arbeiten. Die Schneiderei ist ein bescheidenes Handwerk: man schneidet zu, zertrennt, fügt mit Nadeln zusammen, näht …

Diese Bescheidenheit hat aber auch etwas Schönes, und für mich bestand die Herausforderung darin, dies auf der Leinwand zu zeigen. Im letzten Teil des Films versuchte ich das zu erzählen, indem ich diesen Minimalismus, diese Einfachheit zeige, und gleichzeitig diese Spannung und Verdichtung.

Am Ende kann man in Audreys Gesicht Entschlossenheit, Askese und Konzentration ablesen, alles Dinge, die es Coco erlaubt haben, zum Kern ihrer selbst vorzudringen und zu der legendären Figur zu werden, die jeder kennt, zur ersten Frau in einer Männerwelt, die ein Imperium errichtet hat, das bis heute ihren Namen trägt.

 

F: Die Geschichte ihrer Lehrjahre, jene Zeit, als Chanels Durchhaltevermögen, ihr Wille und ihr Glaube an sich selbst deutlich werden, müsste eigentlich jede Frau interessieren.

A: Unbedingt! In Paul Morands Buch wird Chanel mit folgenden Worten zitiert: ,Die Geschichte meines Lebens – das häufig einer Tragödie glich – ist die einer auf sich allein gestellten Frau, ihrer Entbehrungen und ihrer Triumphe, ihres ungleichen und faszinierenden Kampfes gegen sich selbst, gegen die Männer, gegen Versuchungen, Schwächen und Gefahren, die von allen Seiten drohen.

Ich glaube, Frauen und Männer gleichermaßen dürften sich in dieser Aussage wiedererkennen. Zumindest aber müssten Chanels Liebesaffären und die Schicksalsschläge, die sie immer wieder erlitt, das Publikum berühren.

 

F: Hat das Haus CHANEL Ihr Projekt begleitet?

A: Die Zusammenarbeit mit CHANEL war für uns unverzichtbar, insbesondere bei der letzten Sequenz. Da wäre es undenkbar gewesen, Kleider zu zeigen, die nicht von CHANEL stammen. Wir haben auf der berühmten Originaltreppe gedreht. All die Kleider, die in dieser

Sequenz zu sehen sind, stammen aus der Sammlung CHANEL. Karl Lagerfeld und ich haben uns mehrfach getroffen. Wir zeigten ihm die Entwürfe meiner Kostümbildnerin Catherine Leterrier. Als Karl Bilder von Audrey Tautou sah, meinte er zu mir, sie sei die ,einzig wahre Chanel‘. Wir haben auf sehr entspannte Weise mit dem Haus CHANEL zusammengearbeitet. Einfluss auf meine künstlerische Arbeit gab es von deren Seite keine.

 

F: „Coco Avant Chanel“ ist nach „La fille de Monaco“ Ihr zweiter Film, der von WarnerBros. produziert wird.

A: Ja. Ich bin sehr glücklich, dass Warner Bros. mir auch diesmal wieder vertraut hat. Es hat etwas Beruhigendes, wenn ein großes Studio einem ein riskantes Projekt ermöglicht, denn immerhin ist dies mein erster Kostümfilm.

 

F: Vertrauen brachten Ihnen wiederum Audrey Tautou und Benoît Poelvoorde entgegen …

A: Die Figur des Balsan habe ich mit Benoît im Hinterkopf geschrieben. Die Bandbreite seines Könnens war mir aufgefallen, als ich mit ihm „Entre ses mains“ drehte. Wir wollten beide unbedingt wieder zusammenarbeiten. Am Tag, als ich Audrey Tautou die erste Drehbuchversion überreichte, war ich ziemlich nervös.

Ich sagte zu ihr: „Natürlich haben Sie das Recht abzulehnen. Außer Ihnen kann ich mir allerdings keine andere in dieser Rolle vorstellen – deshalb gebe ich auf, wenn Sie Nein sagen.“

Zum Glück hat mir Audrey schnell meine Ängste genommen. Audrey stammt aus derselben Gegend wie Chanel. Sie ist in Montluçon aufgewachsen, das 50 Kilometer von Moulins entfernt liegt. Audrey sagte zu mir: „Ich hatte schon immer das Gefühl, dass diese Figur eines Tages meinen Weg kreuzt.“ Sie ahnte, dass ihr diese Rolle vorbestimmt war.