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Die Mode zu Besuch bei Merkel

Editorial Team

„20 Jahre Deutsche Einheit“ lautet das Motto des 12. Tags der offenen Tür der Bundesregierung. Das Bundeskanzleramt würdigte den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung am 3. Oktober durch den Talk „20 Jahre – 20 Köpfe“. Über 30.000 Menschen folgten der Einladung zum „Staatsbesuch“. Wie sich die Einheit auf die Mode ausgewirkt hat, diskutierten Sonntag den am 22. August 2010 auf der Bühne im Kanzlerpark Clara Leskovar und Doreen Schulz vom Berliner Label „c.neeon“, Michael Court – Preisträger des European Fashion Award der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie…

 

…Elke Giese –Ressortleiterin beim Deutschen Modeinstitut, Adelheid Rasche – Leiterin der Sammlung Modebild – Lipperheidschen Kostümbibliothek (Staatliche Museen zu Berlin) sowie der Autor und Berater Joachim Schirrmacher mit der RBB-Moderatorin Sabine Loeprick. Was machtDeutschland in der Welt der Mode so besonders? Wie hat sich Berlin in den letzten Jahren zum Modestandort entwickelt? Was bringt die Zukunft?

Herr Court, Sie haben uns zwei Kleider Ihrer ausgezeichneten Kollektion mitgebracht. Was sehen wir?
Michael Court: Die Arbeit entstand für den European Fashion Award der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie. Dort habe ich dieses Jahr den 1. Platz gemacht. Übersetzt habe ich das Thema des Wettbewerbs „Privacy“, Privatsphäre, in große Volumen. Inspirieren ließ ich mich von der japanischen Kultur. Ich habe versucht, die Geschlechterrollen etwas aufzubrechen, einige Outfits, wie dies schwarze, sind von Männern und Frauen zu tragen. So sehe ich Kleidung als Medium, das nicht etwas vorgibt, sondern dem Menschen Raum und Inspiration für seine eigenen Interpretationen und seine innere Motivation, seine Tranquilität gibt.

Wir wollen ein Blick zurückwerfen. Frau Rasche, können Sie uns als Historikerin mit wenigen Stichworten eine Idee geben, warum die Entwicklung der Mode in Deutschland ganz anders verlief als in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich?
Adelheid Rasche: Die Modekultur ist deshalb französisch geprägt, weil sie dort von Beginn an Kultur war. In Deutschland war die Mode immer schon sehr viel stärker mit der Wirtschaft verknüpft. Die Modewirtschaft seit dem 19. Jahrhundert hat Berlin reich gemacht und dies hielt an bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Zäsur 1933 gilt leider auch für diesen Bereich. Fast die gesamte Konfektion ging unter. In den sechziger Jahren gab es dann mit dem Mauerbau eine zweite Zäsur. Sie sehen also, dass mit der Mode sehr historische Daten verbunden sind. Erst jetzt lernen wir wieder, dass Mode auch sehr viel mit Kultur zu tun hat. Das ist für uns als staatliche Einrichtung, die Modekultur und ihre Geschichte vermittelt, natürlich wichtig. Wenn ich mit Leuten in Frankreich spreche, ist immer klar, dass die Mode
zur Kultur gehört. In Deutschland muss man das noch immer mal wieder betonen.

Wie kann man in wenigen Sätzen beschreiben, was die Mode im Osten vor der Wende ausmachte?
Elke Giese: Die Mode in Ostdeutschland – und ich habe dort gelebt und im Modeinstitut der DDR gearbeitet – ist vor allem eine Geschichte des Mangels gewesen, der Dinge die es nicht gegeben hat. Im Moment ist in Erfurt die Ausstellung „Chic aus Bonn und Ostberlin, Zwei Welten – zwei Moden?“ zu sehen, die Kleiderschränke Ost und West vergleicht. Wenn mein ehemaliger Kleiderschrank zu sehen wäre, dann hätten vor allem Kleider aus den Geschenkpaketen meiner Tante aus dem Westen drinnen gehangen. Natürlich gab es eine Tradition, orientierte man sich am Bauhaus – auch in der Ausbildung. Aber die Realität sah doch so aus, dass eine große Textilindustrie, als Übernahme der Verhältnisse vor dem Krieg, schon damals als Lohnfertigung für viele Versandhäuser in
Westeuropa wie z.B. Quelle arbeitete. Für uns in der DDR ist fast nichts übrig

Das heißt, Designer die außergewöhnliche Entwürfe umsetzen wollten, mussten auf Tricks und Kniffe zurückgreifen?
Elke Giese: Sie nahmen Substitute, billiges Material. Sie waren Kunsthandwerker und konnten nur für einen ganz kleinen privaten Kreis etwas fertigen. Es fehlte die Industrie, die ihre Entwürfe umgesetzt hat. Wer ein bisschen Erinnerungsvermögen hat, weiß wie lange er durch Läden gelaufen ist, um etwas ansprechendes zu bekommen. Die DDR hat ja in den siebziger, achtziger Jahren viele Anstrengungen unternommen, nur um eine ordentliche Jeans zu kopieren. Nicht einmal das ist ihr, trotz eines großen Kombinats in Rostock, gelungen. Eigentlich hätte man schon an diesem Scheitern das Scheitern des ganzen Staates erkennen können.

Wie veränderte sich die Mode durch den Fall der Mauer und dann die Wiedervereinigung?
Joachim Schirrmacher: Der entscheidende Punkt ist, dass wir in den zwei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung eine neue deutsche Identität gefunden haben. Es gibt eine Parallele in der deutschen Geschichte: 1871 wurde das Deutsche Reich gegründet und wenig später blühte die Mode in Deutschland auf, denken wir an die goldenen zwanziger Jahre in Berlin. Denken Sie zurück, wie bieder dieses Land in den 1970er Jahren war. Überlegen Sie, wie bescheiden das Angebot beim Lebensmitteldiscounter war und welche Eßgewohnheiten wir heute haben. Die Siegermächte, Gastarbeiter und unsere Reiselust haben unsere Kultur enorm verändert. In den 1990er Jahren kam mit der Technokultur etwas Einzigartiges auf, wo die Welt auf Berlin geguckt hat. 2003 kam ein Magazin „Deutsch“ heraus, ein Titel der lange undenkbar war.

 

Deren Motto: „Deutsch als Synonym für Weltoffenheit, Pluralismus und Toleranz“ – Begriffe die man lange nicht mit diesem Land verbunden hat. Mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin 1999 gab es erstmals ein gesellschaftliches Zentrum in Deutschland, angeblich mit über 1.000 Veranstaltungen täglich, wo sich Mode entfalten konnte. In Berlin ist heute das Bild einer neuen Zeit sichtbar und spürbar, wie in keiner anderen westlichen Metropole. Wir haben über 40 qualifizierte Modeschulen, so viel wie in nur wenigen anderen Ländern. In fast allen internationalen Modehäusern arbeiten Deutsche in Führungspositionen. Wenn Michael Court sich gut bei Vivienne Westwood in London schlägt, ist er vielleicht bald schon für die Männermode verantwortlich, so wie es lange Jahre Martina Glomb für die Damenmode war. Dies sind Zeichen, wie stark wir sind. Zugespitzt: die Zukunft der Mode findet in Berlin als Schaufenster Deutschlands statt.

 

 

Frau Giese, Sie haben in einer Studie dieses neue Bekleidungsverhalten in verschiedenen deutschen Städten sowie London analysiert. Was kam denn dabei heraus?
Elke Giese: Die Fotos der 5.000 Passanten von 20 bis 35 Jahren zeigen erstaunlicherweise, dass es kaum Unterschiede gibt zwischen London, Berlin, Bielefeld oder Köln. Wir wollten wissen, inwiefern gesellschaftliche Veränderungen wie neue Paarbeziehungen oder neue Arbeitswelten auch in der Mode erkennbar sind. Mode ist ja eine nonverbale Sprache: ich erzähle immer etwas von mir, nicht kommunizieren geht nicht. Klar ist: Alte Codes, das was man mal als elegant, formell oder Status gemäß empfunden hat, gelten nicht mehr. Auch vorgefertigte Schablonen, wie ein Hosenanzug, reichen nicht mehr aus. Gefragt ist das „Personal Design“ – ich zeige mit meiner Art mich zu kleiden, dass ich Ideen habe – sei es auf dem Arbeit- oder auf dem Partnermarkt. Gerade in Berlin erkennt man diesen kreativen Faktor sehr stark. Überraschend ist auch die hohe Modekompetenz bei den jungen Männern zwischen 20 bis 35 Jahren. Es ist ganz erstaunlich wie sie mit Farben und Accessoires umgehen können. Seit Jogi Löw trägt jeder junge Mann einen Schal. Eine sehr erfreuliche Entwicklung!


Sie haben gerade den kreativen Faktor der Berliner Mode erwähnt. Clara Leskovar, Doreen Schulz vom Label c.neoon, Sie arbeiten in Berlin. Was haben Sie uns für Kleider mitgebracht?

Clara Leskovar: Die Entwürfe sind ein Teil der Sommerkollektion, die 2011 auf den Markt kommt. Wir haben sie gerade im Juli auf der Berlin Fashion Week erstmals präsentiert. Inspiriert hat uns die Künstlerin Hanna Höch, die viel mit Collagen gearbeitet hat, mit Farben und der Fläche frei umgegangen ist. So haben wir für den
handgestickten Umhang Teile des Flächendesigns auseinander geschnitten und wieder ganz frei zusammengestellt. Generell versuchen wir in unseren Entwürfen, die Schnitte auf die Stoffe und die Stoffe auf die Schnitte abzustimmen, so dass sie sich gegenseitig steigern.

 

Hier geht es zum zweiten Teil des Treffens. Erfahrt mehr über die Antworten der Teilnehmer…