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Die Mode zu Besuch bei Merkel Teil 2

Editorial Team

Die Teilnehmer Clara Leskovar und Doreen Schulz, c.neeon „Berliner Mode hat in der Welt einen super Ruf“, Michael Court, Preisträger des European Fashion Award „In England konzentriert sich die Mode in London. In Deutschland haben wir viele Städte, wo Mode gemacht und getragen wird“, Elke Giese, Ressortleiterin beim Deutschen Modeinstitut „Mode geht immer dahin wo der Zeitgeist stattfindet. Und das tut er in Berlin“.


Dazu gehörten noch Dr. Adelheid Rasche – Leiterin der Sammlung Modebild – Lipperheidschen Kostümbibliothek (Staatliche Museen zu Berlin) „Mode ist eine internationale Sprache, die nationale Wurzeln und Märkte braucht“ und Joachim Schirrmacher, Autor und Berater „In den Jahren der Einheit haben wir zu einer neuen deutschen Identität gefunden und die Mode blüht auf“

 

Also ein recht aufwändiges Verfahren. Welche Materialien haben Sie verwendet?
Clara Leskovar: In dieser Kollektion haben wir viel Baumwollstrick verwendet, den wir im Thüringischen Apolda fertigen lassen. So wiewir alles in Deutschland produzieren lassen. Einzelne Elemente sindaus Seide und Seidenlamé hergestellt. Alles wurde mit der Hand plissiert oder mit der Hand bestickt.

 

Weswegen haben Sie sich entschieden in Berlin zu arbeiten und nicht  beispielsweise in London?
Doreen Schulz: Nach unserem Studium an der Kunsthochschule in Berlin Weißensee war es naheliegend in der Stadt zu bleiben. Von Berlin kann man gut arbeiten, weil Berliner Mode in der Welt einen super Ruf hat. Auch ist Berlin genau der Ort, wo wir mit anderen Künstlern und Designern zusammenarbeiten können. Um das Label nach außen zu tragen, präsentieren wir es z.B. in Ausstellungen in London, Paris oder Tokio.

 

Wie sieht es in Berlin mit den Produktionsbedingungen aus?
Clara Leskovar: Berlin hat hier ja eine große Tradition und nicht nur Berlin, sondern viele Standorte im ehemaligen West – und Ostdeutschland. Nach der Wende sind einige Produktionsstätten zusammengebrochen. Daraufhin mussten sich die Produktionsfirmen auf kleinere Firmen einstellen, was für den Standort Berlin mit seinen vielen kleineren Labels sehr wichtig ist.

Frau Rasche, wie stellt es sich aus Ihrer Sicht dar? Gibt es verstärkt wieder Produktionsstätten in Deutschland oder muss ich als Designer doch nach Asien gehen, um dort kostengünstig zu produzieren?
Adelheid Rasche: Wir sollten zunächst unterscheiden, ob wir übersehr hochwertige, fast coutureähnliche Kollektionen sprechen, wie wir sie von Michael Court und c.neeon gerade gesehen haben, oder über Massenproduktion. Die hochwertigen Kollektionen brauchen aus verschiedenen Gründen die Nähe zu den Produktionsorten. In der preiswerten Kategorie muss man dagegen zumindest außerhalbWesteuropas, wenn nicht schon außerhalb Osteuropas produzieren. Da geht es den deutschen Firmen nicht anders als italienischen, französischen oder anderen Unternehmen.

 

Aber man sollte nicht vergessen: Mode war immer international, Inspiration und Materialien kamen immer aus vielen Ländern. Der Hof in St. Petersburg ließ sich die Kleider in Paris machen, man holte sich Spitze aus den Zentren in Belgien, die Seidenstoffe kamen aus Frankreich, die Tuche aus Italien. Die Pariser Couture arbeitet bis heute mit Stickerei aus St. Gallen. Mode ist eine internationale Sprache, die nationale Wurzeln und Märkte braucht.

Wie sieht es denn mit dem nationalen Markt für Ihre Mode „Made in Germany“ aus?
Doreen Schulz: Unsere Hauptmärkte sind Japan und die USA. Es ist schwierig für uns in Deutschland kleine Conceptstores zu finden, die unsere Kleider anbieten. Daher verkaufen wir unsere Mode auch über einen Online-Store.

Joachim Schirrmacher: Was wir eben gesehen haben ist, Frau Rasche sagte es, Couture oder Mode als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Wir sprechen hier weniger über Massenmode oder Kleidung. Viele deutsche Bekleidungshersteller sind zwar bekannt, aber kaum für ihre Modeaussage. Doch genau diese Aussage suchen heute die ästhetisch geschulten Kunden als Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Das zeigt die Studie von Elke Giese ja eindrücklich. Selbst die Kleider von Michael Court, die ja Konzeptstudien sind und ausloten was möglich ist, finden eine sehr große Resonanz. Was fehlt, ist der Link zwischen den Designern über die Industrie und dem Einzelhandel zu den Kunden.


Das würde bedeuten, der Einzelhandel traut sich nicht diese Mode ins Sortiment aufzunehmen.

Joachim Schirrmacher: Ja, die deutsche Sehnsucht nach Sicherheit. Doch ein Aufstieg eines Modelands ohne starken Einzelhandel ist nicht vorstellbar. Das sieht man deutlich in Antwerpen.

Michael Court, Sie machen zurzeit ein Praktikum bei Vivienne Westwood in London. Wie sieht es denn da aus?
Michael Court: Natürlich ist London ein Metropole. Doch die Situation in London ist nicht vergleichbar mit Deutschland. In England konzentriert sich fast alles in London. Wir haben in Deutschland hingegen viele Städte, wo Mode gemacht und getragen wird. Wenn wir alles in einer Stadt konzentrieren würden, hätten
wir genau die gleiche Situation.

 

 

 

 

 

 

 

 

In den letzten Jahren hat sich in Berlin viel getan, unter anderem durch die großen Modemessen. Welche Bedeutung hat eine Messe wie die Bread & Butter?
Elke Giese: Wir dürfen nicht vergessen: Mode ist ein Konsumgut, Mode braucht Industrie, Mode braucht einen Markt und daher sind die Messen sehr viel wichtiger als alles, was sie in der Zeitung über Boris Becker in der ersten Reihe bei den Schauen am Bebelplatz lesen. Die Messen, ob Premium oder Bread & Butter, ziehen das internationale Publikum an – aus kommerziellem Interesse an Mode. Wir haben mit Karl-Heinz Müller, dem Veranstalter der Bread & Butter, einen Menschen in der Stadt, der das ganz toll machen. So toll, dass es keine vergleichbare Messe an einem anderen Standort in der Welt gibt. Mode als Ausdruck des Zeitgeistes geht immer dahin, wo der Zeitgeist stattfindet. Und das tut er in Berlin. Das schafft Arbeitsplätze, das tut uns richtig gut.

Für Berlin ist Mode also auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor geworden?
Adelheid Rasche: Die Mode ist ganz sicher ein wirtschaftlicher Faktor geworden. Ich spüre ein unglaubliches Interesse von Menschen, die nach Berlin kommen, seien es Touristen, seien es Leute, die zuziehen. Sie alle sind neugierig und wollen sich mit dem kreativen Potenzial der Stadt auseinandersetzen. Das ist sicher nicht nur die Mode, das sind auch die Galerien, die jungen Künstler an den Hochschulen. Hier in Berlin finden sie die interessante Mode
der hier niedergelassenen Designer, die sonst kaum in den großen Läden angeboten wird. Ich mache seit zwanzig Jahren Modeausstellungen in Berlin und wir merken, dass wir in den letzten Jahren ein sehr internationales Publikum haben. Immer wieder wollen sie wissen: Wie ist es mit der jungen Mode in Berlin? Wo finde ich sie? Wie oft wird man gefragt: Haben Sie Berliner Kleidung an? Vor zwanzig Jahren hätte uns das niemand gefragt!

Hat Berlin, hat Deutschland als Modestandort international mittlerweile einen guten Ruf?
Elke Giese: Auf jeden Fall. In dem Sinne wie es Frau Rasche gesagt hat. Man würde sich natürlich ein bisschen mehr industrielle Fertigung und größere Manufakturen wünschen. Aber das wird entstehen. Ich bin ganz sicher!

Welche Zukunft, welche Perspektiven sehen Sie für die Mode in Deutschland?
Joachim Schirrmacher: Es wurde deutlich: Die Massenprodukte kommen aus der Türkei, Portugal oder Asien. Unsere Zukunft liegt in der Mode mit einer starken kulturellen Prägung. Wenn Sie sich näher mitder Arbeit von c.neeon oder Michael Court beschäftigen, entdecken Sie einen starken interdisziplinären Ansatz mit Fotografen, Grafikern, Musikern oder Tänzern. Es geht um ein Gesamtkonzept, um nicht Gesamtkunstwerk zu sagen. Das Können ist da. Wir brauchen aber mehr Selbstbewusstsein, gerade die deutschen Medien, die extrem anzeigenabhängig berichten. Wir brauchen eine stärkere und systematische Nachwuchsförderung. Versuchen Sie mal beim Bundesbildungsministerium einen Ansprechpartner zu finden, der für die Modeausbildung verantwortlich ist. Wir brauchen ein Kompetenzzentrum. Es gibt in Deutschland keine übergreifende Öffentlichkeitsarbeit für Mode! Ich sprach den fehlenden Link zwischen Labels und Läden an. Wenn wir uns konzentrieren statt zu zersplittern, dann wird die vorhandene Kompetenz sichtbar und Deutschland eine sehr kraftvolle Stimme in der Welt der Mode.

Elke Giese: Ich bin sehr optimistisch, weil wir selbstbewusster werden. Weil wir merken, dass es in Paris oder London nichts
Vergleichbares gibt. Ich bin auch optimistisch was die Männermodebetrifft. In dem Moment wo die Autos kleiner werden, müssen sie etwas für ihre Attraktivität tun. Das erotische Kapital wird wichtiger: wie ich aussehe und was ich über meine Kleidung über mich erzähle. Und das tut natürlich der Mode und ihren Machern in Deutschland gut.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michael Court: Wir haben momentan einen sehr starken Umbruch in der Männermode. Der Mann erfindet sich gerade neu. Das sieht man sehr stark – gerade in Deutschland. Daraus wird sich Neues ergeben. Ich glaube, dass die Mode nicht nur in Berlin, sondern Deutschland mit seinen vielen unterschiedlichen Städten und ihren Möglichkeiten sehr stark aufblühen wird.

Adelheid Rasche: Meine Wünsche und Hoffnungen sind zweierlei: Einmal wünsche ich mir mehr mündige Konsumenten, die gucken, was kann ich aus Avantgardekollektionen in den Alltag einbauen. Es muss nicht ein kompletter Umbruch werden. Zweitens wünsche ich mir eine stärkere Verknüpfung von Wirtschaft und Modekultur. Derzeit wird man als Kulturinstitution immer mehr der arme Bruder und die Wirtschaft galoppiert davon, macht ihre 6.000 Personen Gala-Dinners und denkt gar nicht, dass es noch eine andere Seite dessen gibt, was sie produzieren.

Sie nicken zustimmend. Mündige Konsumenten, die wünschen Sie sich vermutlich auch.
Clara Leskovar: Das Stichwort Selbstbewusstsein ist ganz wichtigbeim Endkonsumenten. Da hat sich eine Menge getan. Früher, stärkerals heute, hat man sich für seine Kleidung entschuldigt. Wenn jemand einen teuren Armani-Anzug trägt und ihn jemand anspricht: „Du hast einen tollen Anzug an“, dann sagt er fast immer automatisch, „den habe ich im Ausverkauf gekauft, der war ganz billig“. Das würde einem niemals in Frankreich, Belgien oder London passieren. Dies versuchen viele Deutsche jetzt zu überwinden. Man entschuldigt sich auch nicht für seine Autos oder seine Einrichtung, sondern sagt: „Das ist die Wohnung in der ich mich wohlfühle“.

Herzlichen Dank für diese sehr interessante und wunderbare Gesprächsrunde!