Anne Fontaine – Anerkennung an Coco Chanel

Editorial Team

Seit langem ist die Regisseurin Anne Fontaine von dem Mythos Coco Chanel fasziniert. „Die Mode interessierte mich allerdings weniger als der Charakter dieser außergewöhnlichen Frau“, sagt Fontaine. „Was mich besonders berührte, war die Tatsache, dass sie Autodidaktin war. Dieses Mädchen, das aus der tiefsten französischen Provinz stammte, das arm und ungebildet, aber mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit gesegnet war, war dazu bestimmt, ihrer Zeit weit voraus zu sein.“

 

 

Viele Jahre, nachdem sie sich erstmals mit dem Thema befasst hatte, ergab sich für Fontaine die Chance, einen Film über die legendäre Frauengestalt zu drehen. „Ich musste mir darüber klar werden, ob es möglich war, sich auf den ersten Abschnitt ihres Lebens zu

beschränken, ihre Lehrjahre und das, was alles geschah, bevor Chanel selbst überhaupt begriff, welches glanzvolle Schicksal ihr beschieden war“, erklärt die Regisseurin. „Deshalb las ich noch einmal die Biografie von Edmonde Charles-Roux, ,Coco Chanel – Ein Leben‘. Die andere zwingende Notwendigkeit bestand darin, eine Schauspielerin zu finden, die diese Figur wirklich verkörpern konnte – und nicht bloß eine blasse Kopie von Chanel abgibt oder sie nachäfft.“

 

In Audrey Tautou fand Fontaine die personifizierte Chanel. „Bei meinem ersten Treffen mit Audrey war ich gleich von ihrer Willenskraft fasziniert, von ihrem Mut und ihrem Blick, der einen regelrecht durchbohrt“, erinnert sich Fontaine. „Auch Chanels Blick entging nichts. Sie hatte sich durch Beobachten gebildet, nicht nur durch schulisches Lernen. Ich hatte noch keine Zeile des Drehbuchs geschrieben, als ich Audrey traf, aber ich wusste sofort, wenn sie mir vertrauen würde und die Produzenten damit einverstanden waren, sich auf Chanels Lehrjahre zu konzentrieren, würde dem Abenteuer meines ersten Kostümfilms nichts mehr im Wege stehen.“ Tautou war gleichermaßen von Chanel fasziniert, und obwohl sie schon verschiedentlich für diese Rolle im Gespräch gewesen war, war es erst Fontaines Vision, die sie begeisterte. „Insgeheim hoffte ich darauf, dass man mir ein Angebot machen würde, das sich durch einen speziellen Standpunkt auszeichnete, denn die Modernität dieser Figur – ihr Geist und die Position, die sie den Frauen gab – fasziniert mich“, sagt Tautou. „Als Anne Fontaine mir erklärte, wie sie sich dem Thema nähern wollte, war ich sofort einverstanden.“

 

„Anne erlaubte mir, Chanels Charakter zu entwickeln, indem ich gegensätzliche Aspekte dieser Rolle spielen durfte. Ich konnte auf der einen Seite zerbrechlich und gutmütig sein, andererseits aber auch bestimmend und stolz“, fährt die Schauspielerin fort. „Es war von immensem Vorteil, dass eine Frau diesen Film inszeniert hat, der davon handelt, wie schwierig sich damals das Leben für das sogenannte schwache Geschlecht gestaltete. Anne Fontaines Intelligenz, ihre Finesse, ihre Sicht auf die Figur und die Geschichte haben die Art und Weise, wie sie den Film erzählt hat, nachhaltig beeinflusst.“

Um den Erfolg ihres ambitionierten Projekts zu garantieren und Coco Chanels Lehrjahre auf authentische Weise zu schildern, war Fontaine fest entschlossen, ein hochkarätiges Team zusammenzustellen. „Es war das erste Mal, dass ich einen Kostümfilm drehte, deshalb wollte ich unbedingt mit Kollegen arbeiten, die in ihrem Fach ausgewiesene Könner sind“, sagt sie.

 

Mit den wichtigsten Leuten aus ihrem Team setzte sich Fontaine schon lange vor dem eigentlichen Drehbeginn zusammen und zeigte ihnen etliche Filme, die in der Zeit spielen, in der auch ihr Film angesiedelt ist. „Manche gelten als Klassiker, andere wirken veraltet, obwohl sie von talentierten Regisseuren gedreht wurden“, sagt Fontaine. „Kostümfilme sind ein kniffliges Genre, denn man tappt dabei leicht in eine Falle und flirtet mit den Konventionen des Fernsehfilms. Von Anfang an war uns klar, dass wir uns gegen das Handicap von Kostümfilmen stemmen mussten, die gern allzu behäbig und malerisch daherkommen.“

 

Produktionsdesigner Olivier Radot war bereits für die Kulissen von Filmen wie „Der Liebhaber“, „Die Bartholomäusnacht“, „Lucie Aubrac“ und „Gabrielle“ verantwortlich; für letzteren erhielt er 2006 einen César. „Bei unserer ersten Begegnung imponierte mir Oliviers unromantische Konzeption vom Setdesign“, sagt Fontaine. „Ich spürte sofort, dass wir ästhetisch auf einer Wellenlänge sind.“ Radot beschäftigte sich ausgiebig mit dem Leben von Coco Chanel. „Man muss darauf achten, dass man sich mehr auf das Thema konzentriert als auf die Epoche, und dass die Welt, die man kreiert, sich an der Geschichte, den Gefühlen und dem Blickwinkel des Regisseurs orientiert“, sagt Radot. „Erst das verleiht einem Film Substanz. Einfach Archive zu kopieren, liegt mir nicht. Stattdessen interpretiere ich lieber, transponiere und nehme mir die Freiheit, mich auf die Essenz und Atmosphäre zu beschränken. Es sind ohnehin nur wenige Dokumente erhalten, die Chanel während ihrer Lehrjahre zeigen. Letztlich war es am interessantesten, zu ihren Anfängen zurückzugehen und zu sehen, was ihr Schaffen beeinflusst und inspiriert hat.

 

Wir gaben uns besonders viel Mühe mit den Kulissen des Waisenhauses, der kleinen Welt in Aubazine, die am Anfang des Films zu sehen sind, betonten deren grafische, schwarzweiße Aspekte. Die Kleidung, die Chanel dort trug, die schwarzen Röcke und weißen Blusen, haben ihren Stil stark beeinflusst. Diese Nüchternheit kehrt am Ende zurück, wenn Coco Chanel auf den Treppenstufen des Hauses CHANEL sitzt und eine triumphale Modenschau verfolgt.“ Fontaine wollte, dass die Sets zu Beginn der Geschichte – das Waisenhaus, in dem Chanel aufwächst, das Varieté in Moulins, in dem sie und ihre Schwester auftreten – mit Nahaufnahmen eingefangen werden, um eine gewisse Enge zu vermitteln. Als Coco schließlich in Etienne Balsans Schloss in Royallieu eintrifft, das einen scharfen Kontrast zur Strenge von Aubazine darstellt, wird ihre neue Freiheit geradezu sichtbar. „Wir haben Dutzende von Schlössern besichtigt“, erinnert sich Radot. „Aber wir entschieden uns letzten Endes für das Schloss, das wir zuerst gesehen hatten. Manche waren zu verspielt, andere zu pompös. Unsere Wahl fiel schließlich auf Millemont, ein Schloss aus dem 18. Jahrhundert, das im Département Yvelines liegt. Seine weiße, ebenso schlichte wie elegante Fassade hätte Coco mit Sicherheit beeinflusst. In dieser Umgebung entdeckte sie schließlich die Welt.“

 

Die Regisseurin und der Produktionsdesigner waren sich darüber einig, dass die Dreharbeiten ausschließlich in Frankreich stattfinden sollten. „Chanel verkörpert die französische Eleganz“, so Radot. „Ihr Charakter ist so typisch pariserisch, dass es schade gewesen wäre, nicht in Frankreich zu drehen.“ Fontaine und Radot arbeiteten eng zusammen, um die Atmosphäre des Films auf originelle Weise naturalistisch zu gestalten. „Anne zeichnet sich dadurch aus“, erklärt Radot, „dass sie sich instinktiv gegen das Herkömmliche sträubt. Spektakuläre Szenen mit vielen Komparsen filmt sie lieber in natürlichen, echt wirkenden Bildern als mit weitwinkligen Einstellungen, auf denen der betriebene Aufwand ausgebreitet wird, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Schließlich wirkt es viel substanzieller, wenn man als Zuschauer das Gefühl hat, dass auch außerhalb des Bildes noch Dinge passieren.

Anne gibt naturalistischen, bescheidenen Mitteln den Vorzug vor ostentativer Zurschaustellung. Das ist eine sehr moderne Herangehensweise. So haben wir auch den folkloristischen Aspekt des Varietés heruntergespielt, wo es ja normalerweise ziemlich derb, bunt und anzüglich hergeht. Ich orientierte mich dafür am Café Américain in Paris, mit seiner dunklen Holzvertäfelung. Wir hatten das Gefühl, dass ein Ort, der als Kulisse für Mademoiselle Coco Chanel dient, ein wenig angemildert werden muss.“

 

Die ganzen Mühen zahlten sich für Radot aus, als er sah, wie all die Entwürfe lebendig wurden. „Ich erinnere mich an den Tag, als wir in der Hutmacherwerkstatt drehten, dem ersten Pariser Set, dort, wo Chanel ihre ersten Erfolge feierte“, sagt Radot. „Als ich Audrey Tautou mit ihrer neuen Wasserwellen-Frisur sah, eine Zigarette zwischen den Lippen, wie sie die Besätze eines Hutes richtete, hatte ich den Eindruck, der echten Coco Chanel zuzusehen. Es war unglaublich!

 

Anne Fontaine wandte sich an Kostümbildnerin Catherine Leterrier, die 2000 und 2004 je einen César gewann, um die Kostüme für den Film über Chanels frühes Leben zu entwerfen. Leterrier hatte zuvor mit Fontaine an deren Film „La fille de Monaco“ gearbeitet, außerdem mit renommierten Filmemachern wie Alain Resnais, Louis Malle, Robert Altman, Luc Besson, Jonathan Demme, André Téchiné, Bertrand Blier und Ridley Scott. Leterrier begann ihre Karriere in der Modebranche (nach einem Studium an der Ecole de la Chambre Syndicale de la Haute-Couture Parisienne) und wechselte schließlich zum Film, wo sie eine der begehrtesten Kostümbildnerinnen der Branche wurde.

 

„Die Crew war sich einig“, so Fontaine, „dass wir, gerade was die Kostüme angeht, bloße Kopien und allzu Malerisches vermeiden mussten.“ „Was wir auf keinen Fall drehen wollten, war ein Film über die Geschichte der Mode“, sagt Leterrier. „Wir mussten uns sogar ein paar historische Freiheiten erlauben. Um in den zeitlichen Ablauf unserer Geschichte zu passen, taucht der berühmte gestreifte Marinepulli, den Chanel auf den legendären Fotos der 1930er Jahre trägt, im Film schon früher auf, nämlich in den Szenen, in denen Coco mit Boy am Strand spazieren geht. Darin fallen ihr die Pullover der Fischer auf, die gerade ihre Netze einholen. Anne wollte außerdem zeigen, welchen Ursprung die weltberühmte CHANEL-Handtasche hatte, deshalb entwarf ich einen gequilteten Nähbeutel, dessen Form an diese Tasche erinnert, und ließ ihn aus einem alten, schwarzen fleckigen Baumwollleinen herstellen, aus dem damals auch die Kleidung der Bauern war – beinahe so, als hätte die junge Coco sie aus Stoffresten gemacht, die sie von ihren Tanten erhalten hatte.“

 

Lest hier weiter, welche Elemente noch wichtig waren und warum das Produktionsteam mit einigen Tücken zu kämpfen hatte.