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Kleinstadtindianer

Editorial Team

Ich liebe meine Heimatstadt heiß und innig. Sie ist klein, aber fein. Bisher habe ich nie etwas vermisst oder mir gewünscht in einer größeren Stadt zu leben. Bis zum letzten Wochenende zumindest. Es war ein Samstagabend, meine Freundinnen und ich wollten endlich mal wieder richtig schick ausgehen, auf den ein oder anderen Cocktail in eine der vielen Bars unserer Stadt. Zu diesem Anlass hatte ich mich in mein funkelndes Paillettenkleid geworfen, das schon seit Wochen in meinem Schrank auf seinen großen Auftritt wartete.

 

 

Ich fühlte mich fabelhaft und mega-glamourös. Meine Freundinnen und ich komplettierten unsere Outfits noch mit passenden Haarbändern, die wir ganz im Hippie-Stile trugen. Nie wäre mir zu diesem Zeitpunkt in den Sinn gekommen, dass unser Styling besonders ausgefallen oder ungewöhnlich sein könnte. Als treue Modemagazin-Leserin war ich mit dem Haarband-Trend ja schließlich schon sehr lange vertraut und dies erwartete ich auch von meinen Mitmenschen. Leider stellte sich schon nach wenigen Metern heraus, dass die meisten Leute eher zu tief ins Glas als in eine Modezeitschrift geschaut hatten. „He, Pocahontas!“ und „Bist du ein Indianer?“ waren noch einige der geistreicheren Sprüche, die ich mir an diesem Abend anhören durfte. Auch mein Paillettenkleid war anscheinend für manch schlichtes Gemüt zu viel des Guten.

 

Im Vorbeigehen spekulierten einige Leute darüber, ob es sich bei unserer Dreier-Truppe wohl um einen Junggesellinnen-Abschied handele, andere brachten mit einem schlichten „Boa, Glitzer!“ ihr Erstaunen zum Ausdruck.

 

Gegen Ende des Abends war ich nur noch genervt und erschüttert darüber, wie kleinbürgerlich es in meiner Heimatstadt anscheinend zuging. Alles was über den Einheitsbrei aus Jeans und T-Shirt hinausgeht, ist verpönt. In Städten wie Berlin, London oder Amsterdam bräuchte es schon mehr als ein kleines, funkelndes Kleidchen um die Leute aus der Fassung zu bringen. In meiner Stadt hingegen schien man mich für eine wandelnde Discokugel zu halten: „Du musst heute unbedingt mit zum Tanzen kommen, so wie du glitzerst. Das Kleid schreit ja förmlich nach Disco!

 

Mein Kleid und ich beendeten den Abend dann aber lieber unglamourös und schlicht, also so wie die Leute uns den ganzen Abend über schon gerne gehabt hätten. Wir waren einfach zu erschöpft von der geballten ungewohnten und auch ungewollten Aufmerksamkeit, die wir den ganzen Abend lang auf uns gezogen hatten. Aber werde ich deshalb nun aufhören Paillettenkleider zu tragen und mich der Diktatur der Gammel-Garderobe unterwerfen? Nein, ganz bestimmt nicht. Ich sage, jetzt erst recht, meine Lieben!

 

Geht an eure Schränke und schnappt euch das gewagteste, schrillste, funkelndste Outfit, das ihr habt und dann raus damit auf die Straße! Gemeinsam sagen wir den Fashion-Feiglingen den Kampf an. Auf sie mit Gebrüll, Kleinstadtindianer!