Während einer Zugfahrt mit ihrem Mann und den beiden Kindern erinnert sich Albertine (Karin Viard) an eine Zugfahrt vor vielen Jahren, als sie mit ihren Eltern, Anna (Julie Delpy) und Jean (Eric Elmsonino), nach Saint-Malo in die Bretagne reiste… Regisseurin Julie Delpy…
…(2 Tage Paris, Die Gräfin) überzeugte auch im Interview mit viel Sinn für Humor.
Wie kommt man als Regisseurin von Die Gräfin dazu, einen Film wie FAMILIENTREFFEN MIT HINDERNISSEN zu drehen?
Mein Filmgeschmack war schon immer sehr vielseitig – ich mag Fanny und Alexander genauso wie Da graust sich ja der Weihnachtsmann. Und egal ob Pasolini, Godard und Woody Allen oder Douglas Sirk, Leo McCarey und Steven Spielberg – ich finde sie alle gut.
Es macht mir Spaß, mich mit den unterschiedlichsten Genres zu befassen. Als Nächstes würde ich gern einen Thriller und einen Science-Fiction-Film drehen.
Wann und wie entstand der Wunsch, Ihre Kindheitserinnerungen aus dem Sommer 1979 zu verfilmen?
2003 habe ich mit der Arbeit begonnen. Ich wollte von vornherein keine klassische Handlung schreiben, sondern schillernde, interessante Figuren zeigen, die eine Geschichte erleben, die kaum dramaturgische Elemente enthält. Für mich sind es die banalen Momente des Lebens, wenn so gut wie nichts passiert, mit denen man die stärksten Dinge ausdrücken kann.
Ich habe mich für die Erinnerungen und den Blickwinkel eines kleinen Mädchens entschieden und versucht, den Zuschauer durch die Spannungen zwischen den Figuren bei der Stange zu halten. Trotzdem möchte ich betonen, dass der Film nicht durch und durch autobiografisch ist. Manches habe ich auch erfunden, etwa Onkel Hubert – der erinnerte mich an Figuren aus italienischen Filmen.
Warum haben Sie den Film im Original LE SKYLAB genannt?
Ich wollte von einem Familientreffen erzählen, über dem eine dunkle Wolke schwebt – nämlich die USRaumstation Skylab, die dann zwar ganz weit weg, am anderen Ende der Welt, abstürzen wird, die aber trotzdem während des gesamten Films sehr präsent ist. Gerade für Albertine spielt sie eine wichtige Rolle, denn alles schwebt in höchster Gefahr – ihre Kindheit, ihre Familie, ihre erste Liebe.
Sie erlebt dann ja gewissermaßen auch eine Katastrophe: Sie verliebt sich – und lässt ihre Kindheit hinter sich. Abgesehen davon fand ich es lustig, das Publikum auf eine falsche Fährte zu locken, indem ich eine Komödie über eine Familie drehe, dem Film aber eine Art Science-Fiction-Titel verpasse! Ihre Personenbeschreibungen – und das gilt auch für die Nebenrollen – sind wunderbar nuanciert.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Worauf ich am meisten Wert legte, war, dass sie alle lebensnah wirken und vielschichtig sind. Beim Erfinden der Figuren musste ich oft an das französische Vorkriegskino denken – damals waren gerade die Nebenrollen häufig sehr eindringlich beschrieben. Also gab ich mir Mühe, konkrete Figuren zu erschaffen, egal ob es sich um die beiden leicht verklemmten Cousins handelt oder den „Perversen“ im Zug.
Ihr Film erinnert auch an die italienischen Komödien der 1960er und 1980er Jahre.
Ich liebe das italienische Kino jener Zeit – insbesondere I nuovi mostri (Episodenfilm von Dino Risi, Mario Monicelli und Ettore Scola mit Vittorio Gassman, Ornella Muti u.v.a.), der eine ungeheure Lebensfreude ausstrahlt: Die Figuren streiten sich und diskutieren über Politik, und dabei kippen sie ein Glas nach dem anderen oder spielen Poker. Toll, denn auf diese Weise kann man wichtige Themen anschneiden – und bleibt dennoch der Komödie verhaftet.

Sie schildern die Familie als einen Hort der Zusammenkunft, aber auch als eine sehr explosive Mischung…
Das liegt daran, dass es in dieser Familie – die sehr politisch ist, wie meine eigene Familie! – Linksintellektuelle gibt, die auf Brassens, Ferré und Barbara stehen, aber eben auch Konservative, die lieber Sardou, Claude François und Dalida hören. Der Film spielt 1979, als sich die linken Parteien vereinigt hatten. Zwei Jahre vor den Präsidentschaftswahlen war das; kein Wunder, dass alle ständig darüber reden! Trotzdem war es mir wichtig, bei der Figurenzeichnung Schwarzweißmalerei zu vermeiden und sie nicht platt in Linke und Rechte aufzuteilen. Diese Denkweise finde ich gefährlich.
Die Reden, die manche Ihrer Figuren schwingen, klingen ganz schön radikal – etwa wenn es um die Todesstrafe geht…
Ende der 1970er Jahre machte die vereinte Linke vielen richtig Angst, weil sie lange nicht mehr an der Macht gewesen war. Die Befürchtung war, dass sie sich mit den Kommunisten zusammentun. Das führte bei manchen Konservativen zur Radikalisierung, die sich in ihren Ansichten über die früheren Kolonien oder die Todesstrafe ausdrückte.
Die Frauen – egal, aus welchem Milieu sie stammen – verschaffen sich in Ihrem Film Gehör.
Es sind ja auch fast alles starke Frauen, die sich nichts mehr gefallen lassen. 1979 hatte die sexuelle Revolution auch dieses Milieu erfasst – und selbst die Hausfrauen wussten, dass sie den Mund aufmachen dürfen. Mag sein, dass einige von ihnen sich immer noch zu viel von ihren Männern gefallen lassen. Trotzdem lässt sich keine von ihnen vollständig unterdrücken.
Witzig, wie das Schaf das Fressgelage beobachtet…
Was bleibt ihm anderes übrig, als mit einer gewissen Abgeklärtheit zuzusehen, wie seine Nachkommenschaft von diesen Galliern verspeist wird? In meinem Film benehmen sich die Erwachsenen übrigens viel verrückter als die Kinder, die deutlich reifer wirken. Immerhin ist es Albertine, die mit ihren Omas über den Tod redet, und sie ist es, die gemeinsam mit ihren Cousins und Cousinen Onkel Hubert tröstet.
Das habe ich selbst erlebt – die Generation meiner Eltern war um einiges verrückter als es meine Generation ist.
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