Wo beginnt, wo endet Privatsphäre? Wer kennt mich, wer erkennt mich, wer steuert mich? Die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit schwindet mit der Digitalisierung. Der Allmacht folgt die Ohnmacht, Angst und Anpassungsstress. Das Bedürfnis nach Geborgenheit, Schutz und Sicherheit; nach Nähe, Identität und Ursprünglichkeit steigt. Kann Mode ein Rückzugsort sein?
Unter dem Titel „Privacy“ suchte der European Fashion Award – FASH 2010 Entwürfe für dieses Spannungsfeld. Er wird jährlich von der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie (SDBI) ausgeschrieben.
Die Jury mit international erfahrenen Experten aus Design, Industrie, Marketing und Medien ermittelte die Preisträger unter 63 Teilnehmern aus neun Ländern nach vorab festgelegten Kriterien. Die Preisverleihung fand am 7. Februar im Rahmen der internationalen Sportartikelmesse ispo in München statt.
Den 1. Preis erhielt Michael Court (4. Semester, Hochschule für Künste Bremen) für seine Kollektion „Die Kraft der Stille“. Die Kleider für Frauen und Männer bieten mit ihren großen Volumen einen Raum der reinen, inneren Ruhe. Seine Qualität ist in allen Bereichen – Wahrnehmung, Konzept, Entwurf, Handwerk, Illustration, Sprache – absolut herausragend. „Michael Court schafft was heute selten ist: ernsthafte Mode, die selbstverständlich wirkt“, so Jurymitglied Ivonne Fehn (Fashion Director Süddeutsche Zeitung Magazin).
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Birgit Brockbals (Bachelor, Akademie Mode & Design , Hamburg) erzielte mit ihrer Frauenkollektion „innen = außen“ den 2. Preis. Ihre Abschlußarbeit durchbricht die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit, zwischen dem, was wir sind und dem, was wir von uns preisgeben. „Birgit Brockbals überzeugt durch das stringente Spiel mit Volumen, Körper und Silhouetten“, sagt SDBI-Projektleiter und Jurymitglied Joachim Schirrmacher.
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Ein 3. Preis wurde jeweils verliehen an André Amorim und Marieke-Sophie Schmidt. Für seine Frauenkollektion fand André Amorim (8. Semester, Escola Superior de Artes Aplicadas de Castelo Branco, Portugal) Inspiration im Kleiderschrank seiner Großmutter. Jurymitglied Marcel Herrig (Unicut Design Office, Shenzen) lobt: „Die Arbeit von André Amorim ‚Hello, Grandma!’ ist gewagt, frisch und spannend.“ Marieke-Sophie Schmidt (5. Semester, Hochschule für Künste Bremen) entwarf für ihre Frauenkollektion „Mimikry“ eine öffentliche Außen- und eine private Innenseite. „Ihre junge Ästhetik ist relevant, zeitgemäß, selbstverständlich und hat Witz“, so Jurymitglied Johan Buskqvist (Head of Design Adidas Originals).
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Eine Anerkennung ging an Selena Regenfelder (Bachelor, Kunstuniversität Linz / Schloß Hetzendorf Wien, Österreich). In ihrer Arbeit „Born to blaze“ bringen nachleuchtende Materialien die Persönlichkeit der Trägerin zum Strahlen. Tobias Gröber (Vorsitzender der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie): „Die Stärke dieser Arbeit liegt in der Reduktion.“
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Als Preise wurden Geldpreise in Höhe von 10.000 Euro und vier Stoffgutscheine des Schweizer Textilverbandes im Gesamtwert von 4.500 Euro vergeben. Der renommierte Photograf Roderick Aichinger (Monocle, Musikexpress, Neon) fotografierte die Siegerarbeiten für den diesjährigen Katalog, der von Christof Nardin gestaltet wurde.
Mitglieder der Jury 2010:
Johan Buskqvist, Head of Design Adidas Originals, Herzogenaurach
Ivonne Fehn, Fashion Director Süddeutsche Zeitung Magazin, München
Marcel Herrig, Unicut Design Office, Shenzen/China
Joachim Schirrmacher, Büro für strategische Kommunikation, Hamburg
Der European Fashion Award FASH wird seit 2005 jährlich von der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie (SDBI) ausgelobt. Er richtet sich an besonders begabte Designstudenten aller Gestaltungsdisziplinen ab dem vierten Semester. Die Stiftung wurde von dem Modeunternehmer Klaus Steilmann 1978 ins Leben gerufen. Ziel ist eine wegweisende Nachwuchsförderung. Ihre gemeinnützige Arbeit wurde 2008 von der Standortinitiative der Bundesregierung und der Deutschen Wirtschaft „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.
Die Portfolios aller Siegerarbeiten sind der Öffentlichkeit in der Lipperheideschen Kostümbibliothek in Berlin – der weltgrößten Bibliothek und graphischen Sammlung zur Kulturgeschichte der Mode und Kleidung – zugänglich.