Wallis Bird mag man leicht übersehen, aber kaum eine andere irische Künstlerin versteht es so gut, sich mit ähnlich viel Nachdruck Gehör zu verschaffen. Die gerade mal 1,60 m große Sängerin, Gitarristin und Songwriterin ist fürwahr ein unvergleichliches Temperamentsbündel…
…„eine der energetischsten Performer dieser Tage“, so der britische Daily Express, und für die französische Le Monde „die Entdeckung“ nach ihrem Auftritt beim hochkarätig besetzten Festival Rock en Seine. Wallis verfügt über eine enorm ausdrucksvolle Stimme, deren Spektrum von zartem Flüstern bis hin zum explosiven Schreien reicht.
Ihr extraordinäres Gitarrenspiel ist mal feinstes Handwerk, mal vulkanische Naturgewalt. Wallis Bird ist ein wahrer Derwisch an der Gitarre – mit der linkshändig seitenverkehrt gespielten Rechtshändergitarre hat sie zudem ihren ganz eigenen Stil entwickelt – expect anything from humming bird to strumming bird. Für ihr drittes Album – schlicht „Wallis Bird“ genannt – hat sich die 29-jährige Singer/Songwriterin, die 2010 den Meteor Award, Irlands Pendant zum Echo, als beste irische Künstlerin gewann, viel Zeit gelassen und weite Wege zurückgelegt.
Sie ist in die Abgeschiedenheit an der wilden Steilküste im irischen Connemara in Klausur gegangen, hat wochenlang in ihrem Zimmer in Brixton an den Basisaufnahmen ihrer Songs gearbeitet, die erst bei den endgültigen Aufnahmen an verschiedenen Orten in Berlin ihre jetzige Form annahmen. Auch die Atmosphäre der Räumlichkeiten, darunter das ehemalige DDR-Funkhaus an der Nalepastraße und eine mit Pflanzen ausgestattete Lagerhalle, sollte sich auf die Songs übertragen. Angefangen hat aber alles in der Natur.
An der rauen Atlantikküste Irlands hat sich Wallis für zehn Tage in ein einsames Landhaus zurückgezogen. Während draußen ein Blizzard tobte, ließ sie all den Lärm der Großstadt, dem sie bewusst entfliehen wollte, hinter sich und suchte in der Isolation die Inspiration. „Ich musste für mein neues Album einfach einmal meinen Kopf leeren, mich von meinen bisherigen Texten freimachen und auch von meinem bisherigen Sound. Diesmal habe ich gesellschaftliche Unterschiede, soziale Ungerechtigkeit im Blick gehabt. Es spiegelt stärker meine Gefühle bezüglich der Welt wider, in der ich lebe.“ Wallis Bird hat also in sich hinein gehorcht. Ihre Innenwelt in Bezug zur Außenwelt gestellt. Tatsächlich ist „Wallis Bird“ in vielerlei Hinsicht ein polarisierendes Album gelungen, experimentierfreudig wie komplex in seiner Architektur, voller Songs, die in Stil und Tempo changieren wie Ebbe und Flut.
Mit ihrem neuen Album trägt Wallis Bird der Tatsache Rechnung, dass sich die Welt um uns herum mit dramatischer Geschwindigkeit verändert. Wir leben in Zeiten drastischer Enthüllungen. Von WikiLeaks und den Missbrauchsskandalen, von der Abhöraffäre der News of the World bis hin zur weltweiten Finanzkrise und der daraus resultierenden Occupy-Wall-Street-Bewegung, von neu besetzten Geschlechterrollen bis zur globalen Erwärmung, den Weltläufen will auch Wallis Bird ihren Tribut zollen, ohne großartig mit dem Finger auf bestimmte Politiker, Parteien oder Institute zu zeigen.
Lieber entwirft sie poetische Songtexte voller Doppeldeutigkeiten, alltagsphilosophischer Anspielungen und metaphorischer Fallstricke. Auch die Begegnungen und Gespräche mit anderen Menschen, seien es Alkoholiker oder Priester, Obdachlose oder Drogenabhängige, sind in den Entstehungsprozess des neuen Albums eingeflossen.
Der Opener „Dressed My Skin And Become What I’m Supposed To“, der mit der markant-provokanten Textzeile „You don’t know shit, ain’t it better not to know it“ beginnt, spürt den Lebenslügen nach, mit denen sich viele Menschen einrichten. Das prächtig perkussive „I Am So Tired Of That Line“ symbolisiert hingegen den Puls der Zeit, den Wunsch nach Veränderung, das Aufbegehren gegen Missstände. Die innere Wut bricht vor allem in „Who’s Listening Now“ aus ihr heraus, einem der vehementesten Songs des neuen Albums.
Nichtsdestotrotz wirken die neuen Songs wesentlich subtiler als die vor Kraft und Melodie überbordenden Songs auf „New Boots“. Bei den neuen Songs meint man förmlich die unterschwellige Kraft zu spüren, die innere Spannung, mit der Bird nach neuen musikalischen Ausdrucksweisen gesucht hat. Immer wieder entzieht sich Wallis Bird geschickt klassischen Songmustern. Häufig wechseln innerhalb eines Songs Temperatur, Tempo und Takt. „Wallis Bird“ ist zweifellos eine künstlerische Neuverortung. Abenteuerlich klingt das elektronisch aufgeputschte „Encore“, dessen fiebernde Rhythmen an die Talking Heads der Siebziger erinnern.
Das verspricht auch live ein absolutes Highlight zu werden. Mit dem Gespür für gute Dramaturgie baut sich auch „Take Me Home“ auf, einer dieser typischen Songs, dem sich Wallis Bird mit all ihrer Leidenschaft und Impulsivität geradezu hingibt. „Heartbeating City“, eine Hommage an ihre Wahlheimat London, steht musikalisch hingegen in einer Reihe koketter Songs mit verspieltem Swing wie „Country Bumpkin“ auf ihrem Debüt und „Berlin“ von „New Boots“.