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„Hier sitzt schon meine Handtasche.“

Editorial Team

Dass das Thema Frauen und ihre Handtaschen vielen Männern immer wieder Rätsel aufgibt ist nichts Neues („Wieso kannst du nicht einfach statt dieser Riesentasche einen Rucksack nehmen? Ist doch viel praktischer.“ Zitat: Mein Freund). Erst kürzlich verfiel mein eigener Bruder in absolute Fassungslosigkeit, als er mich zwei Haarbürsten und mindestens 14 verschiedene Lippenstifte in meine Tasche packen sah („Du gehst doch nur kurz zum Supermarkt?!“).

Solche und ähnliche Situationen hat bestimmt schon jede Frau erlebt. Stets habe ich in solchen Momenten meine Handtasche und ihren hohen Stellenwert verteidigt. Die Handtasche ist Frau nunmal sehr wichtig, keine Frage. Bisher machte ich mir über diese einfache Tatsache auch nie großartig Gedanken. Bis zu meiner letzten Berlinreise.

Folgende Situation: Shuttle-Bus auf dem Weg zum Flugzeug. Es war halb sechs am Morgen, der Bus überfüllt, nirgendwo war mehr ein Sitzplatz zu kriegen. Ich sah mich gelangweilt um, da fiel mein Blick auf eine junge Frau, sehr stylish, sehr selbstbewusst – und sehr unverschämt. Sie hatte als eine der wenigen Glücklichen einen Sitzplatz bekommen und saß dort – vertieft in ein Modemagazin – am Fenster. Auf dem Platz neben ihr thronte dunkel, wichtig, groß und ebenfalls sehr schick – ihre Handtasche.

Das Kuriose daran war nicht nur die Tatsache, dass diese Handtasche in einem überfüllten Bus voller Leute einen eigenen Sitzplatz hatte, sondern vielmehr, dass aufgrund der Selbstverständlichkeit, die diese Frau dabei ausstrahlte, keiner auf die Idee kam sich zu beschweren, geschweige denn der Handtasche den Sitzplatz wegzunehmen.
Anscheinend gilt in solchen Situationen das Prinzip: „Wenn meine Handtasche schon so wichtig ist, dass sie einen eigenen Sitz braucht, könnt ihr euch wohl denken wie wichtig ich dann wohl bin, sprecht mich also gar nicht erst an.“

Und dieses Prinzip schien aufzugehen. Meine Freundin und ich staunten offen angesichts dieser bodenlosen Dreistigkeit und bewunderten insgeheim das dahinterstehende Fashion-Statement. „Meine Handtasche ist um einiges wichtiger als ihr Loser.“
Inspiriert von dieser Situation und beflügelt von drei Tagen Fashion-Week in Berlin, versuchte sich meine Freundin auf dem Rückflug ebenfalls an diesem Experiment. Allerdings in entschärfter Form.

Wir saßen im Flieger und warteten bis alle Passagiere an Bord waren. Meine Freundin stellte fest, dass der Sitz neben ihr frei geblieben war und somit zu ihrer freien Verfügung stand. Kurzerhand griff sie unter ihren Sitz und holte ihre neu erworbene, Berliner Handtasche hervor. Kichernd stellte sie das gute Stück neben sich auf den freien Platz und schnallte sie vorschriftsgemäß an.

Wir bewunderten froh unser Werk und freuten uns für die Handtasche über ihr unerwartetes „complimentary upgrade“. Jäh wurden wir aber aus unserer Verzückung gerissen, als wenige Minuten später eine sichtlich verwunderte Stewardess kritisch die Handtasche meiner Freundin beäugte und meinte: „Könnten Sie Ihre Handtasche bitte abschnallen und unter Ihren Vordersitz legen? Wie jeder andere Passagier auch?“
Anscheinend gelten in der Luft keine Fashion-Regeln.